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Champagner Es ist peinlich, mein Mensch ist in sämtlichen Bars der Stadt bekannt - sie kommt irgendwo rein und hat, kaum hat sie Platz genommen, ein Glas Champagner vor sich stehen. Es gibt Leute, die sie für eine Angeberin halten, aber die verstehen sie nicht. Sie will nicht angeben, sie will Champagner trinken. Am liebsten Dom Perignon oder Veuve Clicquot, gern an einem Montag im November oder an einem Frühlingstag um 16 Uhr, wenn die Sonne überraschend aus den Wolken bricht oder gerade nichts Besseres zu tun ist. Mein Mensch wartet nicht auf feierliche Anlässe, sie kreiert sie. Und obwohl ich ein Bär bin, ist mein Mensch eines meiner Idole. Menschen, die ich heute kennenlerne, trinken Sencha-Tee aus Japan und natriumarmes Wasser, manche tragen es in einer Plastikflasche bei sich, als hätten sie Angst vor der plötzlich einsetzenden Versteppung Aachens. Es soll sogar Menschen geben, die auf Heumilch, Detox-Eistee und Relaxation-Drinks schwören. Sie sagen, es tue ihnen gut. Ich glaube, sie täuschen sich. Sie wirken immer nur ausgeglichen, aber nie selbstvergessen oder gar glücklich. Also, mein Mensch und ich lieben Champagner. Er belebt und vernebelt gleichzeitig. Wer zu viel erwischt, hat einen viel interessanteren Rausch als mit Bier oder Honigschnaps; die Prioritäten verschieben sich, man ist irgendwie eins drüber, aufgedreht und originell, nicht dumpf oder gemütlich; es drückt einen nicht in den Sitz, man wird aus ihm emporgeschleudert, Champagner drängt einen zur Tat. Wir würden gern jeden Tag Champagner trinken, allein die Vorstellung, wie er manchmal jahrelang tief unter der Erde in riesigen Limousin-Eichenfässern lagert, erzeugt eine Ahnung von Sinnhaftigkeit und Transzendenz – leider können wir nicht, weil der Job von „meinem Mensch“ nicht genug abwirft. Wenn wir dann doch ein Glas bestellen, natürlich nie zu einem besonderen Anlass, werden wir schief angeschaut (Anmerkung: Nur in Paris erhalten wir dafür immer ein höchst anerkennendes „Bravo!“). In Deutschland sagen die Blicke »Muss das wirklich sein?«, „Alte Welt, moralisch verkommen, nicht zeitgemäß, nicht fortschrittlich, nicht hip“. Champagner trinken, das tun nur spießige Deutsch-Rapper, neureiche Russen und sogenannte Entscheidungsträger, mit dem Geld, das sie durch Abgasmanipulationen in Steueroasen angehäuft haben. Das ist nicht ganz falsch, aber auch ein wenig eng im Kopf. Ich muss bei natriumarmem Wasser immer an Politiker denken, die Marathon laufen. Champagner zu servieren ist für uns eine Geste der Großzügigkeit, gegenüber uns selbst, unseren Gästen und dem Leben. Und auch ein Akt des Widerstands - gegen die Lustfeindlichkeit und Verzagtheit unserer Zeit. Und wenn Sie mich jetzt fragen, welchen Champagner ich empfehlen würde, dann sage ich: Scheißegal, trinken Sie! Voriges Jahr musste eine Maschine der Swiss Air auf dem Weg von Moskau nach Zürich zwischenlanden. Eine Dame hatte zu randalieren begonnen, nachdem die Bordcrew ihr keinen Champagner mehr hatte ausschenken wollen. Peinlich? Vielleicht. Aber auch konsequent. Irgendwie verstehe ich sie. Weil das Leben ja wie so ein Flug ist: ziemlich lang, oft beengt, ein bisschen eintönig, und lauter sonderbare Menschen um einen herum. Danke an SZ und Tobias Haberl für die Inspiration |
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